Das Projekt ist Teil der Thematischen Area 1 - Umsorgtes Leben
Die moderne Soziologie unterscheidet zwischen verschiedenen Dimensionen der Sorge (vgl. Henkel et al. 2016), darunter die drei Sphären „Sorge um sich / Sorge um andere / Sorge um die Umwelt“. Wie vielfältig Konzepte der Sorge sind, zeigt das deutschsprachige Wortfeld [SORGE] mit Beispielen, die Leben und Tod gleichermaßen betreffen: Fürsorge, Vorsorge (auch über den Tod hinaus), Versorgung, Sorgfalt, Sorgsamkeit, Sorglosigkeit bei Gefahren u. a.
Eine ebensolche Vielfalt zeigt sich scheinbar in der altägyptischen Kultur, die zahlreiche Instanzen aufweist, in denen Menschen Vorsorge und Fürsorge betreiben, sich um Versorgung bemühen oder von göttlicher Fürsorge sprechen. Dies spiegelt sich insbesondere in der ägyptischen Funerärkultur, die wie in kaum einer anderen vormodernen Gesellschaft Auskunft über Aspekte sozio-kultureller und individueller Sorge Zeugnis geben kann. Unterschiedlichste Textquellen bieten zudem die Möglichkeit, „Sorge“ aus emischer Perspektive zu analysieren.
Das Projektvorhaben wird untersuchen, inwiefern sich Konzepte der Sorge in der Eigenwelt und der Mitwelt der Alten Ägypter, aber insbesondere in der Übertragung auf die Gegenwelt, hier die Vorkehrungen im Rahmen der Funerärkultur, fassen lassen. Zielsetzung ist es, zu erforschen, welche Auslöser Sorgepraktiken in der altägyptischen Funerärkultur hervorrufen, wie solche Herausforderungen wahrgenommen, konzeptionalisiert und bewältigt werden. Methodisch werden mehrere Perspektiven beleuchtet: Mithilfe lexikologischer und linguistischer Methoden sowie der Conceptual Metaphor Theory werden sprachlich Konzepte der Sorge analysiert. Diesen gegenübergestellt wird die Untersuchung ausgewählter archäologischer Befunde aus dem Bereich der Grabausstattungen, um zu erforschen, inwiefern sich Konzepte der diesseitigen Sorge in der ägyptischen Funerärkultur widerspiegeln. Anschließend werden die unterschiedlichen Sorge-Konzepte des Alten Ägypten mit denen anderer Gesellschaften verglichen.
Stellung innerhalb der Area: Das im Frühjahr 2022 neu initiierte Projektvorhaben bietet vielfältige Anschlussfähigkeit an die bisherigen Forschungsvorhaben der Area 1. Von besonderem Interesse ist ein interdisziplinärer Austausch zu den von Zachary Chitwood (Memoria) und Sibel Ousta (Ideales Sterben) untersuchten Bewältigungspraktiken in Byzanz sowie das von Kerstin P. Hoffmann (Letzte Dinge) durchgeführte Projekt zu liminalen Phasen von Übergangsriten. Die Analysen von Stefan Schreiber (Transkorporalität) können neue kulturübergreifende Blickweisen auch auf die Bestattungspraktiken Altägyptens eröffnen. Nicht zuletzt besteht großes Potential im wechselseitigen Austausch zu den übergeordneten Fragestellungen der Bewältigung von Herausforderungen mit den Forschungen von Alexandra W. Busch et al. (Resilienzfaktoren).