Nachgedanken zum Workshop "Das geritzte Wort"

Von spitzen Griffeln und manipulierten Materialien

Bericht zum Workshop „Das geritzte Wort“ (22.–24. Februar 2023) in Mainz

Geritzte Worte konnten in der Antike eine besondere Wirkung entfalten. So wurden die Verwünschungstexte der sogenannten Fluchtafeln (defixiones) mit einem spitzen Griffel in dünne Bleilamellen geritzt. Der Schreibvorgang selbst hat hier eine gleichsam symbolische Bedeutung, die durch weitere rituelle Manipulationen, wie Falten, Rollen oder Durchbohren, noch verstärkt werden konnte. Wer seine Feinde wirkungsvoll manipulieren wollte, manipulierte also zunächst einfach das Beschreibmaterial.

Der Workshop „Das geritzte Wort. Fluchtafeln und die Literatur der neutestamentlichen Welt. Oder: Von Texten in Dingen und Dingen in Texten“ ist diesem Thema vom 22. bis 24. Februar an der Universität Mainz nachgegangen. Die Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, die Trennung von Text und Material hintanzustellen und die Berührungspunkte zwischen Texten und Dingen zu untersuchen.

 

Dabei ging es zum einen um das beschriebene Artefakt mit seinen archäologischen und rituellen Kontexten: Was erzählen Fundstücke wie die Fluchtafeln (defixiones) über die Umstände ihrer Entstehung? Der Workshop fragte darüber hinaus, ausgehend von antiken Texten, auch danach, welche Positionen Texte zum Material einnehmen, wie Materialität konkret literarisch ausgestaltet wird und welche Sinndimensionen damit verbunden sind. Kurz: Wie erzählen antike Texte über die Materialität der defixiones und anderer Artefakte?

Besonders anschaulich wurde das Schreiben auf Bleilamellen im Vortrag von Jürgen Blänsdorf, der zu den Fluchtafeln aus dem Mainzer Heiligtum der Isis und Mater Magna in der Römerpassage geforscht hat. In einer Praxiseinheit zum Beschriften von Bleilamellen bekamen die Teilnehmenden die Möglichkeit, selbst „einen Ritz“ zu machen, wie es Jürgen Blänsdorf formulierte. Auf diese Weise ließ sich die „Schreibdynamik“, die auf den Fluchtafeln erkennbar ist, auch selbst nachempfinden.

Der von Dr. Michael Hölscher von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz veranstaltete Workshop ist Teil des Projekts „Entzauberte Rituale“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) noch bis 2025 gefördert wird. Zur Website des Projekts: https://defixiones.hypotheses.org/

Fotos/©: Michael Hölscher/JGU

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