Herrschaftswechsel als Herausforderung. Urbanes Zusammenleben im Spiegel städtischer Überlieferung (1250–1520)


Das Projekt ist Teil der Thematischen Area 3: Urbane Verdichtung

Im römisch-deutschen Reich des Mittelalters waren Herrschaftswechsel an der Tagesordnung. Herrschaft wurde vererbt, verkauft, verpfändet und erobert, was Folgen für die politischen Strukturen und Untertanen nach sich zog. Für Städte konnten solche Veränderungen bedeuten, dass die kommunalen Handlungsspielräume eingeschränkt oder gar der städtische Status auf den Prüfstand gestellt wurde. Im Mittelpunkt des beantragten Projekts steht daher die Frage, wie sich solche Herrschaftswechsel auf das urbane Zusammenleben auswirkten.

Die Fragestellung wird im Zeitraum von 1250–1520 am Beispiel südwestdeutscher Städte untersucht, woraus sich drei Konstellationen und folglich drei Teilprojekte ergeben: In Teilprojekt 1 zu den Städten der Grafen von Nassau gerieten die Städte durch Landesteilungen in neue räumliche Zusammenhänge, wurden mit unterschiedlichen Formen des Herrschaftsaufbaus und der Herrschaftsgestaltung konfrontiert und avancierten zum Teil zu neuen Residenzen. In Teilprojekt 2 geht es um die Städte des Erzstifts Mainz, die sich durch die Wahl ihres geistlichen Stadtherrn fortlaufend Herrschaftswechseln ausgesetzt sahen. Diese Wechsel gingen mit Brüchen in der dynastischen Kontinuität und daher mit unterschiedlichen stadtpolitischen Zugriffen einher. Teilprojekt 3 widmet sich solchen Reichsstädten, die an die Pfalzgrafen bei Rhein und an die Erzbischöfe von Trier verpfändet und nicht mehr ausgelöst wurden und deshalb eine Transformation hin zu Territorialstädten erfuhren.

Der Vergleich der drei Teilprojekte verspricht, das Spektrum der Resilienz städtischer Gesellschaften deutlich werden zu lassen. Für die Beantwortung der zentralen Fragestellung sind daher 1.) Resilienzprozesse und damit die sich aus den Herrschaftswechseln ergebenden Störungen sowie ihre Wahrnehmung zu beleuchten, 2.) Resilienzstrategien zu analysieren, die auf Praktiken und Ideen für die Bewältigung, Anpassung und Transformation rekurrieren, 3.) Resilienzdispositionen zu hinterfragen, also Motive und Verfahrensweisen zu untersuchen, um beispielsweise zu normativen Regelungen zu gelangen, und 4.) Resilienzressourcen anzusprechen, womit Werte und Normen wie der städtische Frieden oder der gemeine Nutzen gemeint sein konnten. Durch dieses Vergleichsinstrumentarium leistet das Gesamtprojekt einen wichtigen Beitrag zu der Frage, wie sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen von Herrschaftswechseln auf den Umgang mit dieser Herausforderung auswirkten – und dies umso mehr, als eine dezidierte Auseinandersetzung in Bezug auf das städtische Zusammenleben im Spätmittelalter noch weitgehend aussteht. Die Zusammenarbeit der Teilprojekte (u. a. in Projektkolloquien, einer wissenschaftlichen Tagung und einer abschließenden gemeinsamen Publikation) gewährleistet umfassende, über den Einzelfall hinausgehende Erkenntnisse über Effekte von Herrschaftswechseln auf die urbane Gesellschaft.

Stellung innerhalb der Area: Das Teilprojekt bietet vielfältige Anknüpfungspunkte an diejenigen Projekte, die ihrerseits dezidiert das städtische Alltagsleben mit seinen zahlreichen Auswirkungen und Bewältigungsstrategien in den Blick nehmen. Dies trifft zum Beispiel auf die Projekte von Alexander Pruß (Soziale Balance) und Christine Walde (Lebenshilfe) zu, aber auch auf das Projekt von Thomas Blank, Barbara Henning und Michael Hölscher (Separate Gruppen), weil der Umgang mit und die angestrebte Integration von gewissen sozialen Gruppen (etwa Randgruppen) auch für die mittelalterlichen Verordnungen ein wichtiges Thema waren. In räumlicher Hinsicht bestehen darüber hinaus Schnittstellen mit den Projekten von Johannes Lipps (Mogontiacum), weil Mainz wahrscheinlich eines der ausgewählten Stadtbeispiele sein wird, und von Merav Mack (Jerusalem), weil auch sie nach einer Bewältigung der Herausforderungen durch geschriebene Texte fragt und daher das gleiche Leitmedium betrachtet.